helnwein österreich

KURIER – 17. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

IHRE MEINUNG

von Eva Deissen

Schwieriges Schweinisches
Wie ich unserer Kulturberichterstattung entnehme, streitet man in Hamburg über die Frage, ob Gottfried Helnweins "Lulu"-Plakat nun eigentlich frauenfeindlich oder männerfeindlich sei.

Neue Kronen-Zeitung – 16. Februar 1988

"Lulu" von Frank Wedekind, Hamburg, 1988

DER KLEINE UND DIE RIESIN

von Erwin Melchart

In Hamburg hatte Samstag Peter Zadeks mit Spannung erwartete Inszenierung von Frank Wedekinds "Lulu" Premiere: Vom Publikum stürmisch umjubelt, von der Kritik zwiespältig aufgenommen, sorgte das Stück in der ganzen Bundesrepublik schon vor seiner Aufführung für einen Skandal. Die Ursache: ein Österreicher. Der bekannte Wiener "Schockmaler" Gottfried Helnwein (jetzt wohnt er in einem Schloß in der Eiffel) malte das Plakat für "Lulu":

DER SPIEGEL – 15. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

PLAKATE - KRÄNKENDES ÜBERWEIB

Das Plakat zur Hamburger "Lulu" - Inszenierung wird als "eindeutig frauendiskriminierend" angegriffen.
Auf Augenhöhe und auf kurze Distanz hat das Männchen vor sich, was ihm Verlockung wie Gefahr bedeutet: das weibliche Geschlecht. Die gezielt entblößte Frau überragt den kleinen Kerl derart riesenhaft, dass ihr Oberkörper und ihr Kopf jedem Blick entzogen sind.
So läßt sich der Mythos vom männerverzehrenden Überweib Lulu, wie ihn Frank Wedekind auf die Bühne gestellt hat, auf eine simple Bildformel bringen. So hat es der Maler und Graphiker Gottfried Helnwein mit einem Plakat zu Peter Zadeks langerwarteter "Lulu" - Inszenierung (Premiere: letzten Samstag) am Hamburger Schauspielhaus getan.
Leicht explosive Stimmung herrschte letzte Woche auch in Heidelberg, wo Helnwein erstmals voll in den Theaterbetrieb eingestiegen ist und die Ausstattung zu einem "Macbeth" Abend des Choreographen Johann Kresnik geliefert hat.
Shakespeares machtgierig-skrupelloser Held erscheint als ein vorweggenommener Barschel und wird zum Schluss, gemäß einem Helnwein-Einfall, in die Badewanne gelegt. Auf dem Plakat erscheint das ominöse Photo, das Helnwein unter bewußter Verletzung des "Stern"-Urheberrechts adaptiert hat.
Am Premieren-Mittwoch schreckte eine - wie sich zeigte, leere - Bombendrohung das Theater auf. Am Abend wurde die Produktion nur bejubelt.

Westdeutsche Allgemeine – 13. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

PROVOZIERENDE PLAKATE

von HJ

5{plakate erregen zur Zeit die Öffentlichkeit an der Waterkant und am Neckar.
Das eine, entworfen von dem bekannten Künstler Helnwein, wirbt fürPeter Zadeks Neuinszinierung von Frank Wedekinds Monstertragödie "Lulu", die heute in Hamburg Premiere hat.
Es zeigt in einer Art retuschiertem Realismus den entblössten Unterleib einer Frau.
Davor steht, perspektivisch verkleinert ein Mann; es ist der Schauspieler Heinz Schubert in der Rolle des Schigolch.
Wer in dem Reklameobjekt Pornografie sieht, missversteht die Absicht des Bürgerschrecks von anno dazumal und seines Inszenators von heute: Beide wollen die Doppelmoral des Bürgertums entlarven und sexuelle Männerphantasien offenlegen.
Das sollte der Theater - wie der Plakat - Kunst erlaubt sein.

Abendzeitung, München – 11. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

BLICK IN DEN UNTERLEIB

Zadek provoziert mit Helnweins "Lulu"-Plakat
Zadek hat wieder mal seinen so geliebten Skandal. Der Blick eines zwergigen Mannes in den etwas groß geratenen Unterleib einer nackten Dame provoziert derzeit die Hamburger. Gottfried Helnwein hat das "Lulu"-Plakat gestaltet. Der Künstler: "Das paßt total zur Inszenierung von Zadek, die ist auch nicht schüchtern." Premiere der Wedekindaufführung ist am 13. Februar im Schauspielhaus.

Rhein-Neckar-Zeitung – 26. Januar 1988

Rhein-Neckar-Zeitung, 1988

ZWISCHEN MITLEID UND ABSCHEU

von Heide Seele

Gottfried Helnwein bei Friedman-Guinness in Heidelberg
"Manchmal kann man einfach nicht anders als hinschauen, staunen, glotzen, wenn das, was in den Blick, zugleich aus dem Rahmen fällt. Das ist dann meistens etwas Scheußliches, während das Schöne eher eine Verfeinerung des Vertrauten darstellt, die das Auge zwar erfreut, aber nicht bannt. Schaulust richtet sich seit altersher vornehmlich auf das Außergewöhnliche, Ungeschlachte, Häßliche". - Dieser Satz stammt von Karl Markus Michel. Wir fanden ihn in einem Buch über den Wiener Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt mit dem Titel "Charakterköpfe", erschienen vor fünf Jahren im Beltz Verlag Weinheim.
Dieses Zitat könnte ebenso gut auf einen Landsmann des Barock-Bildhauers zutreffen, auf Gottfried Helnwein, der zur Zeit in Heidelberg weilt - nicht nur aus Gründen seiner Ausstellung in der Galerie Friedman-Guinness, nicht nur wegen des soeben über ihn in der Heidelberger Edition Braus erschienenen Buches, sondern auch wegen der Bühnenausstattung, die er für die neue Inszenierung von Hans Kresnik ("Macbeth"), deren Premiere für den 10. Februar anberaumt ist, entwirft.

Picus Verlag, Wien – 30. November 1987

Picus Verlag, Wien, 1988

GEGENWARTSBILDER

von Herbert Muck, Herausgegeben von Ottokar Uhl

Kunstwerke und religiöse Vorstellungen des 20. Jahrhunderts
Das Bild des Menschen in der Leidensnot, des unschuldig Verfolgten und Gequälten, das aus der Kunstgeschichte in zahllosen Märtyererszenen bekannt ist, entsteht immer wieder neu. In den Zahnwehbildern von Oswald Oberhuber und in den Bildern von Gottfried Helnwein ist Betroffenheit über Schmerz und Ausweglosigkeit in der Situation des Kindes dargestellt. Das Kind ist die Gestalt des Unterlegenen, Abhängigen, Ausgelieferten und Ausgenützten. Unter dem Druck einer auf Anpassung drängenden Erwachsenenwelt werden ihm tiefe Verletzungen eingeprägt, entstellende Traumata.
Die Bandagen bei Helnwein oder schon zuvor bei den Wiener Aktionisten (Schwarzkoglers Bandagenaktionen) verweisen sowohl auf die Entstellung des Körpers wie auf das Verborgene dieser Verletzungen. Sie üben auf dem Hintergrund einer Tabuisierung von Verwundung, Behindertenexistenz und Tod eine starke Wirkung aus und setzen heftige Reaktionen frei.

"Der Untermensch", Edition Braus – 30. November 1987

One-man show, Museum für Moderne Kunst, Strasbourg, 1988

DIE VERWANDLUNGSKUNST DES DOPPELGÄNGERS

von Peter Gorsen

ZUM SELBSTBILDNIS BEI GOTTFRIED HELNWEIN
Selbstbildnisse von 1970 - 1987

Je est un autre - Rimbaud

Helnweins experimentelle Vielseitigkeit ist kaum einzuordnen. Bei him findet sich ebenso ein kleinmeisterliches Werk skurril-phantastischer Zeichnungen in der Nachfolge von Redon und Kubin. Meist vergessen wird auch sein Engagement für "Antipsychiatrie", antiautoritäre Erziehung, Rüstungsabbau und mehr ökologisches Bewußtsein. Helnwein hat die Motive und Formen der Populärkultur in teils karikierender, teils grotesk verfremdender Absicht verwendet. Sein penetranter Hypernaturalismus beunruhigt, grenzt an ironische Übertreibung. Die Brecht-Benjaminsche Maxime, "nicht an das gute Alte anknüpfen, sondern an das schlechte Neue"

Schroedel Schulbuchverlag – 30. November 1987

das Selbstportrait im Grundkurs Kunst, 1988

GRUNDKURS KUNST 1

von Michael Klant, Annemarie Schulze-Weslarn, Josef Walch

Material für den Sekundarbereich II:
Malerei, Grafik, Fotografie. SELBSTPORTRAIT,
Albrecht Dürer, Rembrandt, Angelika Kaufmann, Caspar David Friedrich, Vincent van Gogh, Max Beckmann, Salvador Dali, Arnulf Rainer, Gottfried Helnwein.
Fotorealistischer Aufschrei, Gottfried Helnwein's Selbstportrait, 1983

"Ninth November Night", Katalog – 30. November 1987

Installation "Neunter November Nacht", Museum Ludwig, Köln, 1988

BLACK MIRROR

von Heiner Müller

Wie hält ein freundlicher Mensch wie Helnwein es aus, seine exzellente - Malerei zum Spiegel der Schrecken des Jahrhunderts zu machen? Oder hält er es einfach nicht aus, das nicht zu tun? Reflektiert sein Spiegel nur die Jahrhunderthaltung, LIEBER EIN SCHRECKEN OHNE ENDE ALS EIN ENDE MIT SCHRECKEN, die aus der Überbewertung des Todes kommt, Folge seiner Tabuierung durch Statistik. Perseus, der die Gorgo im Spiegel guillotiniert, und wenn der Kopf fällt, ist es der eigene. Wie viel Köpfe hat ein Mensch / Mann in unserem Zeitalter der Spiegel?