Kunstsammlung DZ-Bank – 10. Juni 2008
Gottfried Helnwein - Faces
Weil dieses Element so dominant ist, weil Helnweins Absicht, die Menschen über sich selbst, ihren Beruf, über ihr Geprägtsein von diesem Beruf und seinen Problemen erzählen zu lassen, so klar in allen Porträts zum Ausdruck kommt, sind sie alle keine Abbilder mehr, sondern Helnwein-Bilder, wird es mit einem Male irrelevant, ob sie gemalt oder fotografiert sind. Gottfried Helnweins Blick auf die Wirklichkeit war stets ein analytischer, kritischer, ja bissiger. Nicht umsonst kennt seine Kunst nur Anhänger oder Gegner, aber keine Indifferenz. In der gleichen Weise trat er in der Serie "Faces" auch den prominenten Vertretern unserer Gesellschaft gegenüber, die überwiegend aus dem kulturellen Feld, der Literatur, der Kunst, der Musik und des Films stammen. Seine Bilder entlarven, obwohl sie nicht voyeuristisch sind. Aber es gelang ihm ganz offensichtlich, die Porträtierten dazu zu bringen, etwas von sich selbst preiszugeben.
Angesichts der Porträts von Gottfried Helnwein erleben wir wieder den Schock des Neuartigen, einer bisher noch nicht dagewesenen Sicht auf das Gegenüber. Ich habe zahlreiche Menschen beobachtet, die erstmals mit diesen Porträts konfrontiert wurden, und immer wieder Überraschung, intensives Empfinden und Faszination erlebt. Ihm geht es um den Menschen, um die Nähe zu den Personen, die ihre Selbstporträts als visuellen Diskurs mit ihrer Zeit am Beispiel ihrer eigenen Person sehen, oder mit Joel Peter Witkin, der die Verletzungen aufspürt, denen der Mensch begegnet ist.
Gottfried Helnwein verfolgt mit seinen Selbstporträts, seinen Bandagierungen und Verwundungen, ähnliche Themen und sucht auch in seinen "Faces" nicht die Oberfläche, sondern die Auseinandersetzung mit dem Individuum. Wir begegnen in dieser Serie Menschen, die wir unzählige Male in Bildern gesehen haben, und meinen doch, ihnen hier
zum ersten Mal zu begegnen, sie zumindest noch nie in dieser Nähe erlebt zu haben.
Da finden wir Andy Warhol, den Selbstdarsteller, der vor seinem Tod ungezählte "letzte Bilder" von sich hat schießen lassen, in einer Pose, die wahrhaftig an ein Endstadium denken lässt; William S. Burroughs blickt mal gefährlich lauernd, mal wie sein eigenes Opfer hinter der vorgehaltenen Pistole hervor; Roland Topor schaut rätselhaft mit riesengroßen Augen gen Himmel und Lech Walesa, rechts angeschnitten, passt in seiner fetten, selbstzufriedenen Aufgedunsenheit nicht mehr ins Bild.
Diese Beschreibungen ließen sich beliebig fortsetzten. Jedes der gezeigten Gesichter enthüllt etwas von dem Menschen, zu dem es gehört. Gottfried Helnwein gelang es, Eigenheiten der Personen und mit ihrem Namen verbundene Klischees in ihren Gesichtern aufzuspüren und sichtbar zu machen.
Wenn man angesichts Keith Richards' dramatischem Hell-Dunkel bereits meint, die Gitarre zu hören, dann wird deutlich, wie sehr Gottfried Helnwein in seinen Porträts charakterisiert und analysiert. Dies ist sein - Helnweins - Teil, der in diesen "Faces" steckt und die Gesichter prägt. Jedoch hat die Fotografie vor der Malerei die Eigenart, dass sie Authentizität verströmt. Gerade wenn eine solche expressive, dramatische Fotografie mit technischer Perfektion verbunden ist, wenn man glaubt, Andy Warhol die Haare aus dem Gesicht streichen zu müssen, wenn dies alles fast dreidimensional greifbar ist, dann kommt zur Expressivität das Dokumentarische, das der Fotografie stets anhängende Wahrhaftige doch wieder zur Hintertüre herein. Dann wird Fotografie spannend. Denn selbst wo sie Fiktion ist, ist sie nie nur Fiktion, lässt sich die alte Idee des "in unnachahmlicher Treue" nicht ganz abschütteln, baut sich das Spannungsfeld zwischen "Dokument und Erfindung" stets wieder von neuem auf.
Gerade in der Porträtfotografie wird dies immer wieder deutlich. Sie ist nicht nur Darstellung, sie ist gleichzeitig Selbstdarstellung. So gibt sie nicht nur das Bild wieder, das der Dargestellte von sich selbst hat, sondern auch das, was der Fotografierenden von ihm als Person und als Vertreter einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe hat.
Gottfried Helnwein, 1948 in Wien geboren, lebt in Irland.