helnwein österreich

fotoMagazin – 1. Dezember 1989

fotoMagazin, 1989

DIE KÜNSTLERMACHER

von Armin E. Möller

Die Fotografie hat jetzt auch in Europa den Kunsthandel erreicht. Galeristen fördern junge Fotografen, Fotokunst hat Hochkonjunktur. Armin E. Möller über die erfolgreichen Kunst-Fotografen und ihre Macher
Ein Helmut Newton kostet ab 3000 - bei einigen Motiven ab 5000 Mark aufwärts. Eine Serie von Foto-Handarbeiten von Birgit Kahle hat schon 15 000 Mark gebracht. Die Fotomanipulationen von Ulrich Tillmann kosten ab 1500 Mark das Stück - wobei der Fotograf meistens präzise ausgearbeitete Serien bevorzugt, die dann natürlich teurer werden.
Ein Gottfried Helnwein wird als Polaroid(groß) für 6500 Mark aufwärts, und ein Großbild ab 28 000 Mark angeboten. Das bleibt im Vergleich zu den Gemälden dieses Künstlers preiswert.

Winfried Reckermann sitzt unter einem wandfüllenden abstrakten Gemälde vor seinem Schreibtisch und erzählt von der Ausstellung, die er mit Fotos von Helmut Newton veranstaltet hat. Reckermann selbst wirkt, als wolle er vornehmen Herrenausstattern die Grundlagen des Gewerbes durch eigenes Auftreten erklären. In seiner Galerie werden gerade Fotoarbeiten und Skulpturen des Bildhauers Constantin Brancusi ausgestellt. Inge Koppelmann, eine eher zierliche Frau, wirkt mit ihrem roten Haar wie der personifizierte Widerspruch zur Fotoarbeit von Birgit Kahle, die fast vom Fußboden bis zur hohen Decke der Galerie Koppelmann reicht. Rudolf Kicken kommt im teuer-lässigen Freizeitlook daher, stellt sich neben ein Fotooriginal von William Henry Fox Talbot und referiert über ganz alte und neuere Fotos, und - natürlich, Kicken ist Galerist und handelt mit (Foto-)Kunst - über Preise.

Die Fotografie hat jetzt auch in Europa den Kunsthandel erreicht. Fotokunst hängt neben der traditionellen Kunst. Und das muß nicht einmal ein Widerspruch sein. Die Kunstsammler entdecken die Fotografen, oder besser die "Photographen", denn alte Stücke, das ist in dieser Szene eben so, zählen noch mehr als neue Fotos. Und selbstverständlich haben die Fotosammler schon ihre "alten Meister" entdeckt. Dazu gehören etwa Ansel Adams, der amerikanische Altmeister. Sein 1941 entstandenes Foto "Moonrise, Hernandez, New Mexico", das mittlerweile mit etlichen zehntausend Dollars bewertet wird, hat Maßstäbe in der galerietauglichen Fotografie gesetzt.

Zu den in diesem Sinne besten "Photographien" der Welt gehören so unterschiedliche Bilder wie "The Flaterion", das in dunklen, grünlichen Farben einen Durchblick auf das Flaterion-Gebäude des New Yorks von 1909 zeigt. Aber auch das im Spanischen Bürgerkrieg 1936 entstandene Foto "Augenblick des Todes" von Robert Capa wird dazu gezählt, wie auch das legendäre Porträt des englischen Premierministers Winston Churchill, das 1941 von Yousuf Karsh aufgenommen wurde.

Die meisten der 64 Kölner Galeristen haben inzwischen "ihre" Fotografen. Ein Dutzend, man müßte wohl auch noch Gmurzynska, Horbach, Ernesto+Krips, Teufel und Mayer&Mayer oder Symbol-Wangler herausstellen, haben neben den bereits genannten größere Fotoausstellungen vorbereitet. Einen Markt muß man pflegen.

Im Aktenschrank von Kicken und auf dem Tisch von Rekkermann stehen New Yorker Galerieverzeichnisse. Kicken setzt noch einen drauf und schreibt "New York Office" auf den Ordnerrücken. Das gehört zu dieser Art Geschäft. Kunstpreise - und vor allem die für Fotografie werden in den Vereinigten Staaten gemacht. Dort gibt es die bedeutenden Sammler, und von dort aus soll auch das Geld gekommen sein, das dem Pionier der Fotogalerien, dem Kölner Jürgen Wilde, gestattet hat, seine Galerie vor ein paar Jahren zu schließen und nun mehrere Nachlässe - etwa den von Renger-Patzsch - zu verwalten und als "Kunstagent" zu arbeiten.

Fotoausstellungen wandern. So nennt ein Kicken-Pauseback-Katalog die Stationen Washington, Chicago, Basel, Köln und Paris. Köln hat sich zum Zentrum für den Handel mit der Fotografie entwickelt. Ob die Bilderschauen der "photokina" dazu beigetragen haben, oder aber ob die zahlreichen Kölner Galeristen einfach dieses für sie neue Feld früher beackert haben als die Kollegen in München oder Hamburg, kann nicht entschieden werden. Rühriger Motor der Kunst-Foto-Szene Kölns ist Reinhold Mißelbeck vom Museum Ludwig, der hier viel bewegt und es auch schafft, ein Dessous-Modebild von Peter H. Fürst, Werbefotograf in Köln, für das Museum anzukaufen.

Auf jeden Fall aber ist Köln auch eine Geldstadt. Dort wo Geld ist, ist auch Kunst. Daher ist Frankfurt auch die wichtigste Konkurrenzstadt für die Kölner Galeristen. Von dort sind Namen wie Gering-Kulenkampff oder Wolfgang Schneider bekannt. In Hamburg widmet sich Wilma Tolksdorff besonders der Fotografie. Morgen können es schon wieder andere und mehr sein.

Auf die Frage, warum sich Kunstsammler plötzlich für Fotokunst interessieren, geben die Galeristen, so gegensätzlich sie sonst sein mögen, alle eine gleiche Antwort und benutzen die gleichen Erklärungsbausteine. Zum einen sei die "bildende Kunst" der Maler und Bildhauer teuer geworden. Die Sammler fangen an zu schlucken, wenn ihnen die Preise für Gemälde und Skulpturen genannt werden. Zum anderen kann man sich als Fotosammler noch einen Namen machen. Pioniertaten sind noch möglich. Fotografen gelten noch als unterbewertet und oft noch als unentdeckt.

Allerdings: auch "unterbewertete" Künstler bringen schon beachtliche Preise. Ein Helmut Newton kostet ab 3000 - bei einigen Motiven ab 5000 Mark aufwärts. Eine Serie von Foto-Handarbeiten von Birgit Kahle hat schon 15 000 Mark gebracht. Die Fotomanipulationen von Ulrich Tillmann kosten ab 1500 Mark das Stück - wobei der Fotograf meistens präzise ausgearbeitete Serien bevorzugt, die dann natürlich teurer werden. Ein Gottfried Helnwein wird als Polaroid(groß) für 6500 Mark aufwärts, und ein Großbild ab 28 000 Mark angeboten. Das bleibt im Vergleich zu den Gemälden dieses Künstlers preiswert.

Ein Helnwein in Öl, der oft auch so aussieht, als käme er aus dem Farbfotolabor, wird von den Sammlern für 80 000 bis 120 000 Mark angekauft. Eine Wertanlage sozusagen. Helnwein ist nicht der einzige Künstler, bei dem Foto und Malerei zusammengehören. Constantin Brancusi, dessen Bilder und Skulpturen in Köln gezeigt werden, dokumentierte seine Arbeiten immer selbst. Auch im Nachlaß anderer Maler schauen die Galeristen nach, ob nicht noch ein paar Fotos zu finden sind, nach denen der Meister eventuell gemalt hat. Die Skulpturen Brancusis sind heute Millionen wert. Die Fotos des Künstlers dazu, der zu Anfang des Jahrhunderts arbeitete, gibt es (noch) für ein paar tausend Dollar. Die 8000 bis 25 000 US-Dollar für die Brancusi-Fotos von Brancusi-Skulpturen, die Reckermann nennt, dürften eine Verhandlungsbasis sein.

Preise bilden sich auf dem Bildermarkt: Kicken zeigt ein Bild (1922) des Amerikaners Paul Strand - Räderwerk und Transmissionsriemen einer Maschine - neben einem Foto von Albert Renger-Patzsch - Räder und Gestänge einer Dampflokomotive, so wie sie 1923 bei der Reichsbahn zu sehen waren -, und nennt für den Amerikaner einen Preis von 40 000 Mark - fünfmal soviel, wie für das Bild des deutschen Fotografen verlangt wird. Dazu muß man wissen, daß Strand ein ausgesprochener Liebling amerikanischer Sammler ist. August Sander, ein Klassiker der deutschen Fotografie, wird mit 5000 Mark gehandelt. Wäre er ein anerkannter Amerikaner, seine Bilder brächten ein Vielfaches.

In den Galerien sieht man fast nur Schwarzweißbilder oder, wie bei den Arbeiten von Tillmann, auch einmal Bilder, die im Eisentonungsverfahren ihr Schwarz gegen ein eindringliches Blau austauschten. Er liebe die Farbe, sagt Tillmann dazu, und er achte auch auf die Haltbarkeit der Bilder. Die Sammler wollen Stücke, die - ähnlich wie Gemälde - "haltbar" sind. Und hier bietet die SW-Technik mehr Sicherheit. Es gibt Farbbilder, aber sie sind selten.

Die Fotokünstler kommen aus unterschiedlichen Richtungen zur Fotokunst. Birgit Kahle, deren Kolossalfotos die schmächtige Fotomacherin weit überragen, begann als Aktionsfotografin. Sie fotografierte die Aktionen des Aktionisten Peter Gillis. Dem Negativformat 6x6 ist sie treu geblieben. Aber kein Negativ bleibt, wie es ist. Kratzen, bemalen, zerschneiden oder aber das Ablösen der Schicht verändern das Bild, das stets auch ein Bild von ihr selbst ist. Der eigene Körper wird zur Grundlage und zum Maßstab der Bilder, die dann auch noch als Abzug verändert werden. Zur gewollten Größe werden die Bilder dann im Internegativverfahren in einem befreundeten Labor hochvergrößert. Jede Serie ist ein Unikat.

Das gilt auch für manche Arbeit von Ulrich Tillmann, der als gelernter Fotoingenieur (Kölner Machart) in den Kunstbetrieb kam. Er setzt auf perfektes Handwerk, ist ein Tüftler. Um das Geld für seine Bilder kümmert sich sein Galerist. Tillmann ist froh, damit nichts zu tun zu haben, und wirkt lieber in seinem Studio, wenn er nicht gerade über und mit Fotos für die Stadt Köln arbeitet, bei der er im Museumsbetrieb seinen (verläßlichen) Brotjob hat.

Gottfried Helnwein ist da weiter. Er lebt abwechselnd am Rhein oder in Florida und kann als arrivierter Künstler verwirklichen was ihm wichtig ist. So kommen auch manchmal Theater, Städte oder Museen zu Plakaten, die für die Besteller selbst eine Überraschung sind. Helnwein akzeptiert nur solche Aufträge bei denen er völlig frei ist. Das gilt für den Foto-Helnwein ebenso wie für den Gemälde-Helnwein. Dabei provoziert er subtil. Als zur "photokina" am Zaun des Kölner Hauptbahnhofs eine Fotoposterserie zu sehen war, auf der Kinder so fotografiert worden waren, wie sie in den Alben der KZ-Ärzte von der Art Mengeles zu finden sind, gingen Unbekannte mit dem Messer auf die Fotos los und zerschnitten sie. Die Fotos trafen offensichtlich zu genau.

Was Kunst ist und was keine ist, entscheiden bei den Fotos nicht nur die Sammler, sondern auch die Galeristen, die Kunsthändler. Kicken sagt von sich, er habe bei jedem Motiv etwa 200 Vergleichsbilder im Kopf, und da müsse sich nun etwas abspielen. Und: Es kämen pro Woche "fünf Fotografen, von denen ich sechs wieder wegschicken muß".

Wie Fotokunst Sammlerkunst bleiben kann, haben die Fotoanbieter unter sich schon lange ausgemacht. Bis zu zehn gleichartige Vergrößerungen darf es geben. Mehr nicht. Die Negative werden unter Verschluß genommen, zum Notar gegeben oder gar vernichtet. Doch hier streiten sich die Künstlermacher. Es gibt auch eine Minderheitenmeinung, nach der Fotografie eben ein vielfach zu vervielfältigendes Produkt liefere. Kunst für jedermann, wenn man so will. Aber die Mehrheit der Fotoverkäufer hält sich lieber an die von der Grafik bekannten Regeln. Da die Galeristen von der bildenden Kunst her kommen, können sie mit den dort üblichen Gepflogenheiten auch am besten umgehen.

Bei manchen Fotokünstlern aber stellt sich die Frage der Auflage gar nicht erst. Dort wo Negative oder Positive verfremdet, überarbeitet, übermalt oder in Collagen eingebaut werden, gibt es ohnehin nur Einzelstücke. Da nun Maler mehr und mehr das Medium Fotografie entdecken, ist schon wieder ein neuer Markt in Sicht. Der der Malerfotografen, die all ihr Können mit Fotochemie und Pinsel auf ein Fotopapier bringen.

01.Dec.1989 fotoMagazin Armin E. Möller